Die YES!APP von YESWECAN!CER wurde von Krebspatienten für Krebspatienten entwickelt. Sie soll dabei helfen, dass sich Patienten untereinander aber auch mit Angehörigen und Fachärzten unkompliziert und barrierefrei austauschen können. Gegründet wurde die größte Krebsselbsthilfe-Community 2018 von Medienmanager Jörg A. Hoppe. Er bekam 2017 die Diagnose AML-Leukämie, die er mit Hilfe einer Stammzellenspende überlebte. In der Nacht unmittelbar nach der Diagnose reifte seine Idee einer App, die sofortige Vernetzung und direkten Austausch ermöglicht. Der Launch erfolgte Ende 2018, aktuell hat sich die Selbsthilfe-Community zu einem der auffälligsten und erfolgreichsten Player im Segment der Krebshilfe entwickelt.
Die YESWECAN!CER gGmbH ist eine gemeinnützige Organisation, die von Alexandra von Korff (vielfach ausgezeichnete Podcasterin „2 Frauen, 2 Brüste“ gemeinsam mit Paula Ellenbrock und Bloggerin „kickcancerchick“) und Jochen Kröhne (Foto oben) geführt wird.
Beide sind wie Hoppe Krebs-Überlebende. Ihr Credo: Mut machen. Das fette „YES!“ im Organisationsnamen füllen beide auf ihre ganz eigene Art mit Inhalt, Ideenreichtum und Enthusiasmus.
Im Gespräch erläutert Jochen Kröhne dem Gesundheitsboten seinen -schmerzhaften – Weg zu YESWECAN!CER. Sein Hauptanliegen: Das große Schweigen der Männer wie auch eine Lanze für die Vorsorge brechen.
Herr Kröhne, wie beschreiben Sie Ihr Gefühl, nachdem Sie die Diagnose „Prostatakarzinom“ erhielten?
Nach dem Schock kommen die Sprachlosigkeit und Lähmung, natürlich die Angst und der Wunsch etwas Gutes und Zuversichtliches zu hören, Tröstendes und eine Perspektive, die Mut macht. Unmittelbar nach der Krebsdiagnose, wird es technisch, operativ und es bleibt wenig Zeit sich in Ruhe Gedanken zu machen. Die Behandlungen sind fordernd, anstrengend, oft schmerzhaft und der Weg gepflastert mit Unsicherheit. Fachbegriffe umschwirren das googelnde Gehirn. Was heißt denn das schon wieder? Und bedeutet es Hoffnung oder eine weitere Runde in der Achterbahn, die eigentlich auch eine Geisterbahn ist?
Waren Ihre behandelnden Ärzte eine Stütze?
Ohne Frage bieten Ärzte und Kliniken, Apparate und Analysen, MRTs und Scans die wissenschaftsgeprüfte Sicherheit in guten Händen zu sein, aber das lässt noch keine Zuversicht aufkommen, denn wie wird es werden; gut oder geht hinter der nächsten Tür die Achterbahnfahrt wieder von vorne los? Es heißt, man solle kämpfen. Aber gegen wen und könnte das je ein fairer Kampf sein?
Kann man sagen, dass diese vielen Fragen schon eine Überforderungen an den Patienten sind?
Ich fragte mich natürlich gleich: Bin ich denn allein mit diesem ganzen Tohuwabohu, wer fühlt denn wie ich und mit wem kann ich sprechen? Partner, Familie, Freunde, sie alle haben Verständnis für mich, aber sie können mich doch nicht ganz verstehen, sind auch seltsam achtsam, viele gehemmt.
Ist das nicht er Grund für die vielen „Stuhlkreise“, die man aus der Patientenselbsthilfe kennt?
Sicherlich kommt bald der Wunsch nach dem Gespräch mit den Leidensgenossen auf, der Austausch und am besten die Erzählung, wie gut es doch nach einem Jahr danach aussieht. Wie Ängste verfliegen und der herrlich gewöhnliche Alltag wieder einkehren darf. Doch wie findet man die, mit denen es sich am besten sprechen lässt? Der Stuhlkreis als alleiniges Gesprächsmuster will nicht so richtig funktionieren, das Treffen zur falschen Zeit am entfernten Ort mit Menschen, die ich mir nicht wirklich aussuchen konnte. Passt das heute noch? Man verabredet sich per WhatsApp zum Feiern, per App zum Sport, zum Date, zum Sex. Und für die Seelennöte bei meiner ganz spezifischen, vielleicht sogar seltenen Krebserkrankung bleibt allein irgendein Stuhlkreis?
Sie kannten Jörg A.Hoppe ja aus ihrem beruflichen Kontext, zeitweise waren Sie sein Chef. Wie nehmen Sie ihn als Menschen wahr?
Jörg erkrankte im Sommer 2018. Als er nach einer komplikationsreichen Leukämieerkrankung mit einer anschließenden Stammzellentransplantation wieder halbwegs bei Kräften war, war sein Handy sein ständiger Begleiter und seine Hauptverbindung zur Außenwelt und half, die notwendige Isolation zu überwinden. Ich will zurück ins Leben. YES! Und seine Frau Simone, selbst Fernsehredakteurin, sagt ihm, wie auch die vielen Freunde: Wir schaffen das! Nicht Du schaffst das, wir schaffen das. YES we can! Es klang uns allen Obamas Mantra noch im Ohr. YES, we can, yes we can-cer. Das CER durchgestrichen. Jörg lässt T-Shirts drucken.
In schräger Schrift, deren Design an die Sex Pistols erinnert. Denn Musik und Marken haben sein bisheriges Leben geprägt. So kommen die Shirts in die Welt.
Das klingt nach großer Ungeduld und noch größerer Schaffenslust.
Ich höre es noch als wäre es gestern. Er sagte: <Das kann doch wohl nicht wahr sein, dass man nicht per App andere Leukämiepatienten mit der gleichen Diagnose, der gleichen Achterbahnfahrt irgendwo in Deutschland finden kann.>
Ich selbst erkrankte 2017 an Prostatakrebs. Auch nicht gerade ein Thema, mit dem man gerne mit jedem spricht. Inkontinenz, zeitweise Impotenz, in jedem Fall Unfruchtbarkeit. Und die gleichen Fragen. Ist das in einem Jahr wieder alles OK? Mit Jörg hatte ich einen wunderbaren Gesprächspertner. Wir redeten über Krebs, über die Ängste, über das Tabu, ja immer noch das Tabu der Krebserkrankung an sich.
Ist Krebs denn noch immer ein Tabu?
Krebs ist keine normale Erkrankung. Die Diagnose macht Angst, sprachlos und ein kalter Todeshauch hängt über diesem Begriff. Krebs ist ein reales Phänomen, sogar ein sehr reales. Jeder zweite Deutsche erkrankt in seinem Leben daran, zumindest statistisch. Eine halbe Million pro Jahr.
Und dann kam das T-Shirt als Eisbrecher der Sprachlosigkeit aufs Tablett?
So ähnlich. Komm, lass uns auch dem Shirt eine App machen, mit der sich Krebskranke und auch Angehörige finden, um darüber zu reden. Aber lass uns die Sache wirklich bekannt machen, mit medialen Mitteln, mit der Kraft der Medien, mit der Stimme der Vielgesehenen und meist Gehörten. Frech, jung, provozierend, stylisch, aufmerksamkeitsstark. Eine Lifestylemarke für Krebs. Undenkbar? Nein, genau richtig. Und das was auch genau die Tonalität, die ich von Jörg seit je her kannte. Ich war total mitgenommen von seiner Verve.
Und wann war dann die Gründung von YESWECAN!CER?
Im Sommer 2018 gründeten wir unsere gemeinnützige Patientenorganisation und Selbsthilfeorganisation, die sich für einen offenen und angstfreien Umgang mit der Krankheit Krebs einsetzt. Getragen von dem Wunsch und der Überzeugung für die Notwendigkeit der Digitalisierung des Gesundheitswesens wird die YES!APP ins Leben gerufen, mit der sich Krebspatienten und deren Angehörige miteinander vernetzen können. Von Anfang an ist der integrative Bestandteil der Bewegung, dass sie von zahlreichen bekannten Personen des öffentlichen Lebens und einigen Hörfunk- und Fernsehsendern unterstützt wird.

Wie funktioniert diese App?
Die YES!APP funktioniert praktisch wie Tinder, nur eben für Krebskranke. Man findet sich, aber man spricht über Krebs, über das Leben, tauscht sich über die Behandlung, das Leben mit Krebs aus und auch weit darüber hinaus. Von Mensch zu Mensch, aber auch in Gruppen mit gleichem Thema.
Neben der App wurden nach und nach weitere Formate etabliert, wie beispielsweise das regelmäßige „Call-In“.
Seit einiger Zeit gibt es auch wöchentliche Video-Gesprächsrunden mit Ärzten und eine Hotline zur Unterstützung, bei sozialen Themen, Möglichkeiten zur finanziellen Unterstützung oder psychoonkologischer Hilfe. yeswecan!cer versteht sich als Dachmarke und bindet ein. Blogger, Youtuber, Erkrankte, die persönlich und ausführlich über ihre Erkrankung, ihren Weg zurück ins Leben schreiben oder in Podcasts sprechen. Bei yeswecan!cer heißen sie Mutmacher. Niemand sollte mit der Erkrankung alleine bleiben. ‚Du bist nicht allein‘ ist daher Botschaft, Claim und Hashtag.
Patientenwissen ist das eine – wie holen Sie sich für die App den wissenschaftlichen „Stand der Dinge“ an Board?
Es gilt das Primat der Wissenschaft. Daher bittet yeswecan!cer renommierte Ärzte und Vordenker des Gesundheitswesens in den wachsenden Beirat. Die gemeinnützige Organisation versucht unkonventionell, ergebnisoffen und integrativ mit dem Tabuthema umzugehen, allerdings auch immer mit dem Kompass der Evidenz, der Wahrhaftigkeit und Seriosität. Keine Kompromisse für vermeintliche Alternativen, aber offen für hilfreiche Ergänzungen der Schulmedizin. Das Wohlbefinden der Patienten im Kopf und im Herzen. So ist das klare Anliegen, die Stimme der Patienten hörbarer zu machen, deren Rechte zu stärken und den selbstbestimmten Entscheidungsweg zu ebnen. yeswecan!cer ist auch offizieller Unterstützer der Nationalen Dekade gegen Krebs.
Können nicht digitale oder wenig digitale Selbsthilfegruppen bei Ihnen einbringen oder sind Sie eine geschlossene Gesellschaft?
Das digitale Angebot zur Optimierung der Patientenselbsthilfe ist kein Selbstzweck und selbstverständlich offen für klassische Selbsthilfegruppen, die ihre Aktivitäten in der YES!APP spiegeln können. Gerade in Pandemiezeiten, wo persönliche Treffen nur eingeschränkt möglich waren, werden digitale Tools willkommen geheißen und sind inzwischen alltägliche Realität. Aber das kann eben auch gerade für seltenere Krebserkrankungen weitere Perspektiven eröffnen. Mit ortsunabhängigen digitalen Mitteln können Patienten aus ganz Deutschland, dem deutschsprachigen Raum und weit darüber hinaus leichter zueinander finden.
Dann erwuchs die YES!CON, eine Messe für Krebskranke. Was genau hat es damit auf sich?
Seit dem Jahr 2020 wird im Herbst die Patientenveranstaltung YES!CON veranstaltet. Diese interaktive Patienten-Convention fand bereits zweimal in einer Berliner Event-Location statt, wurde aber auch parallel auf yescon.org und von zahlreichen Medienpartnern gestreamt. Teilnehmer sind neben vielen aktiven Krebspatienten renommierte Ärzte und Wissenschaftler, Sozial- und Gesundheitspolitiker sowie Künstler und Moderatoren, die sich für das Thema engagieren. Die YES!CON fand bislang zweimal unter der Schirmherrschaft von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn statt.
In Diskussions-Panels, Gesprächsrunden und Meditationen wurde eine breite Themenpalette behandelt, wie zum Beispiel Impfen gegen Krebs, Partnersuche trotz der Erkrankung, die Frage der eigenen Schuld an der Erkrankung, Digitalisierung und Krebs, Chancen einer verbesserten Krankenhausküche oder aber auch der offene Umgang mit dem Thema Tod.
Im Herbst gibt es bereits die dritte Ausgabe. Was wird sich ändern zu den vorangegangenen Conventions?
Dieses Jahr beabsichtigt yeswecan!cer das Konzept der YES!CON 3.0 noch einmal zu erweitern. Es ist geplant, die Convention in einer neuen Location und grundsätzlich zweisprachig (deutsch und englisch) durchzuführen. Als neuer Veranstaltungsort ist München fest gebucht sowie zwei parallele Veranstaltungen in Zürich und in Wien in Planung.
——-
Die gemeinnützige Organisation yeswecan!cer versteht sich als Patientenorganisation, sieht sich als eine kommunikationsstarke Bewegung für Patientenrechte und als eine landes- und europaweit digital tätige Selbsthilfegruppe. Es ist das erklärte Ziel, die Stimme gegen die Sprachlosigkeit zu erheben, gemeinsam die Lähmung und die Angst zu überwinden und den Raum für Zuversicht und Ermutigung zu schaffen. Die Digitalisierung ist dabei nicht nur eine technogisch erforderliche Strukturreform, sondern das notwendige Licht für den individuellen Weg eines jeden Krebspatienten und für seinen nächsten Angehörigen.